Flüchtlingsmannschaft im Ligabetrieb - "Mehr als reiner Sport"

Sie haben teilweise Schlimmes hinter sich, haben unterschiedliche Muttersprachen, unterschiedliche Nationalitäten – doch wenn die jungen Flüchtlinge Fußball spielen, zählt nur der Wille zum Sieg. Und die Fairness.

 

Grelles Flutlicht erhellt den Fußballplatz des ESV Neuaubing ganz im Westen Münchens – eine Insel der Helligkeit an diesem dunklen und eiskalten Abend. Rund 25 junge Männer machen sich auf Kommando warm, während im Hintergrund die S-Bahn vorbeirattert. „Ruhig ein bisschen schneller, Leute“, schallt es über den Platz. Es ist kein besonders wirtlicher Ort, doch hier beim ESV gemeinsam mit Einheimischen und anderen Flüchtlingen kicken zu können – „das hat mich so glücklich gemacht“, sagt Amar Omar Yado und strahlt. „Im Irak durften wir keinen Fußball mehr spielen.“

 

Der 21-Jährige kam bereits vor vier Jahren allein nach Deutschland. Schon nach wenigen Wochen trat er in die von Olaf Butterbrod trainierte Mannschaft ein. Damals traf man sich noch im Englischen Garten. Seit der Saison 2015/16 tritt mit dem Eisenbahnersportverein Sportfreunde München-Neuaubing (ESV) die erste bayerische Flüchtlingsmannschaft im Ligabetrieb an. C-Klasse im Kreis München, wie der Bayerische Fußball-Verband (BFV) bestätigt.

 

Eigentlich sei die Bezeichnung Integrationsmannschaft ja besser, erläutert Butterbrod vor dem Training. Die Tür zu seinem Büro ist dabei offen, immer wieder kommen junge Männer herein, manche sprechen englisch, andere schon gut deutsch. Integration auch deshalb, weil auch einige – wenn auch wenige – deutsche Spieler dabei sind.

 

Einer der Einheimischen ist Özgür Demirel. Anfangs sei das Zusammenspiel mit den Männern so vieler unterschiedlicher Nationalität gewöhnungsbedürftig gewesen, erinnert er sich. Die Kommunikation bereitete Schwierigkeiten, dadurch wurde auch das Training schwieriger. „Aber es gab die Anweisung vom Trainer, deutsch zu sprechen.“ Wenn das nicht klappte, halfen Gesten und Körpersprache.

 

Die Flüchtlinge haben letztlich die Fußballabteilung des ESV gerettet: Mangels Spielern „war die Abteilung eigentlich tot“, sagt ESV-Vizepräsident Christian Brey. Dann traf er Butterbrod. Es gab ein Sichtungsturnier – „wir sind keine Sozialromantiker“, betont Brey -, und nun steht die Mannschaft auf Platz Fünf, nachdem sie lange Tabellenführer war.

 

Für den ESV, der etwa mit Weltmeister Manfred Nerlinger eine glorreiche Vergangenheit im Gewichtheben hat, war der Fußball immer das „Schmuddelkind“. Jetzt hingegen gebe es aufgrund der Flüchtlingsmannschaft eine Chance auf einen Neuanfang. Der Leistungsgedanke zähle, betont Trainer Butterbrod, und doch sei das Spiel „mehr als reiner Sport“. Und er selbst auch mehr als nur Spielleiter – ein bisschen Seelsorger, ein bisschen Vaterersatz für die jungen Männer um die 20, das muss er auch sein. „Er tut alles für uns“, findet Amar Omar Yado.

 

„Wie eine große Familie“ empfindet auch der 26-jährige Arasch Khan aus Afghanistan den Zusammenhalt. Am Anfang habe er nichts gewusst von Deutschland – eine fremde Sprache, eine fremde Kultur. „Jetzt ist das schon mein Zuhause.“ In seinem Heimatland dagegen gebe es keine Freiheit, sagt Khan und erzählt von Schutzgelderpressung, Kinderarbeit und Hunger.

 

Mehreren Spielern drohten bereits Abschiebeverfahren, doch bislang sind Butterbrod alle Spieler erhalten geblieben. Dramatische Momente gab es dennoch, wie er erzählt: „Einer hat sich im Flugzeug die Pulsadern aufgeschnitten.“ Inzwischen bediene der betroffene Afghane an einer Supermarkttheke in München. Auch andere Schicksale sind oft nicht leicht. So kann ein Spieler vermutlich aus psychischen Gründen nur ganz leise sprechen. Ein anderer aus Syrien wurde von einem Bombensplitter getroffen und hat eine gelähmte Hand – macht aber trotzdem inzwischen eine Lehre als Kfz-Mechaniker.

 

Respekt, Fair Play, eine gute Zeit miteinander zu verbringen – darauf kommt es Butterbrod an. „Ich habe ihnen gesagt, ihr seid auch Botschafter, für Integration, für euer Land.“ Die meisten Spieler stammen aus Afghanistan. Sie seien „sehr weit, was Umgangsformen angeht“, findet der Mittvierziger. Dass die Mannschaft bereits einen Preis als die fairste auf dem Platz bekommen habe, macht den Trainer stolz. Inzwischen unterrichten einige Spieler selbst den Fußballnachwuchs – und coachen eine Mannschaft aus Grundschülerinnen.

 

„Eines der Leuchtturmprojekte“ sei die Mannschaft, sagt Thomas Müther, Pressesprecher des BFV. Was die Einbindung von Flüchtlingen angehe, machten inzwischen viele Vereine in Bayern Ähnliches. „Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt.“ Nachahmer gebe es etwa in Dornach im Landkreis München, aber auch anderen Kreisen, berichtet Bernhard Slawinski, Kreis-Vorsitzender München des BFV. „Bayernweit ist ganz, ganz viel in Bewegung.“ Neuaubing habe „fast schon einen Hype“ ausgelöst und „ein ganz tolles Zeichen gesetzt“.

 

Für die Integration der Flüchtlinge ist der gemeinsame Sport von großem Wert. „Ich sehe da keine Kriegsopfer auf dem Platz“, resümiert Trainer Butterbrod etwas außer Atem in einer kurzen Pause am Spielfeldrand. „Nur Fußballer.“

 

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rico güttich / dpa

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