Wohin mit Schildkröten und Bartagamen, die keiner mehr will? Mit Glück landen sie in der Reptilienauffangstation München, wo sich auch gefährliche Tiere tummeln. Ein Besuch in den überfüllten Räumen gerät zum spannenden Treffen mit Krokodilen, Gift- und Würgeschlangen.
München – Im Baumarkt oder auf der Internet-Seite sehen sie noch süß aus – winzige Schildkröten, niedliche Leguane oder putzige Bartagamen. Zuhause dann der Schock: Die Tiere wachsen. Und sie stellen hohe Ansprüche an Raumklima, Temperatur und Ernährung. So manche Besitzer wollen ihre unbedachten Einkäufe dann schnell wieder loswerden. Immer wieder werden Reptilien deshalb abgegeben oder gar ausgesetzt. Viele landen in der Auffangstation für Reptilien in München. Sie ist Anlaufstelle für gut 1200 Tiere im Jahr – aus ganz Deutschland und sogar aus dem benachbarten Ausland. Auch Schlangen, Spinnen und exotische Säugetiere wie Affen finden hier Unterschlupf.
«Letztes Jahr haben wir fünf Brillenkaimane aus Belgien bekommen, die wurden bei einem Drogendealer konfisziert», sagt der Biologe Patrick Boncourt, der in der Station arbeitet. Doch das ist die Ausnahme, meistens kommen die Tiere aus Bayern. Gut die Hälfte der Stationsbewohner werden von privaten Besitzern abgegeben. Die Gründe: Zu aufwendig, kein Platz, keine Zeit. Auch so manche Ausreden bekommen die Mitarbeiter zu hören, wie etwa die Geschichte, dass sich das Tier absolut nicht mit der Ehefrau vertragen mag und diese immer angreift.
20 Prozent sind Fundtiere, weitere 30 Prozent stammen von Behörden, die die Tiere beschlagnahmt haben, etwa weil sie nicht artgerecht gehalten wurden oder generell als Haustiere verboten sind. Während Bayern die Haltung gefährlicher Tiere strikt begrenzt, sind andere Bundesländer wie Baden-Württemberg da lockerer. Das führt mitunter zu absurden Vorfällen: «Wer sich in Ulm eine Kobra kauft, weil es dort legal ist, und dann nach Neu-Ulm umzieht, was ja nur ein Katzensprung ist, der muss das Tier abgeben», beschreibt Boncourt die Lage.
So bleibt oft nur die Auffangstation. Um den Ansturm besser zu bewältigen und den Tieren eine artgerechte Heimat zu bieten, will der Verein in Neufahrn bei Freising deshalb eine eigene Anlage bauen. Auch im Tierheim in München-Riem wird ein Gebäude nach und nach für Leguane, Warane, Schlangen und exotische Säugetiere umgebaut.
Das ist auch bitter nötig. Bis unter die Decke sind die bislang genutzten Kellerräume der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität im Münchner Stadtteil Schwabing vollgestopft. Vor 20 Jahren als Notunterkunft für heimatlose Reptilien eingerichtet, stößt das Provisorium bald an seine Grenzen: Kisten, Schubladen und Terrarien stapeln sich in jeder freien Ecke. Es krabbelt, klopft, raschelt und klappert, im Giftraum rasselt eine Klapperschlange, woanders lugen haarige Spinnenbeine unter einem Blatt hervor – hinter Glas.
In einem speziellen Wärmeraum ist Futterzeit: Zootierpfleger reichen zwei Regenbogenboas tote Kaninchen. Blitzschnell packen die Würgeschlangen die Kadaver, umschlingen sie mit ihren massigen Körpern und lassen sie nicht mehr los. Überall liegt Zirpen in der Luft, Insekten hüpfen zwischen den Kisten und auf dem Fußboden umher. «Das sind Grillen, die werden alle irgendwann gefressen», sagt Boncourt lakonisch.
Das notwendige Geld für den Unterhalt kommt zum Teil vom Freistaat Bayern, der den gemeinnützigen Verein jährlich mit rund 331 000 Euro unterstützt, also etwa mit einem Drittel der Kosten. Der Rest muss über Spenden eingesammelt werden, bei Führungen oder Beratungsgesprächen für interessierte Tierkäufer, die in dem Neubau nach dem Wunsch des Stationsleiters Markus Baur noch stärker angeboten werden sollen – auch um die Zahl der Fehlkäufe zu verringern.
Dass so viele Schildkröten, Bartagamen und andere beliebte Haustiere in der Station landen, liegt nach Ansicht von Experten auch daran, dass deren Anschaffung fast nichts kostet. Annette Sperrfechter von ProWildlife spricht gar von Verramschung. «Der Massenmarkt sind Bartagamen und Kornnattern.» Das Anliegen von ProWildlife: Nur noch die Haltung von Tieren zu gestatten, die gut gezüchtet werden und in Gefangenschaft leicht gehalten werden können. Zudem würden viele Käufer über die Bedürfnisse der Tiere zu wenig aufgeklärt. «Wir wären dafür, dass es für alle Arten einen Sachkundenachweis gibt – dass man vorher eine Art Führerschein machen muss, damit man genau weiß, was braucht das Tier, was kostet es mich?», sagt Sperrfechter.
Die Ramschmentalität macht sich vor allem breit, wenn Krankheiten auftauchen. «Bei so billigen Tieren ist die Bereitschaft, zum Tierarzt zu gehen, recht gering», beklagt die Pressesprecherin. Warum auch? «Man sieht nicht, wie diese Tiere leiden, die schreien nicht, die leiden stumm vor sich hin.»
Dieses Schicksal bleibt den Reptilien in der Auffangstation erspart, so auch den Schildkröten, von denen einige immer wieder versuchen, an den glatten Wänden ihrer Plastikkisten hochzukrabbeln – vergeblich. Sie sind neben Bartagamen und Schlangen wie der ungefährlichen, aber wunderschön gefärbten Kornnatter die häufigsten Gäste. «Schildkröten bleiben im Durchschnitt vier Wochen hier», sagt Boncourt. In dieser Zeit werden sie wie alle Neuzugänge untersucht und auf Krankheiten getestet. Danach dürften sie an Privatleute weitervermittelt werden, doch das Interesse sei recht gering, bedauert der Biologe.
Viele Tiere ziehen nach einiger Zeit in eine der Zweigstellen des Vereins um, nach Riem oder ins Schildkrötenrefugium Chelonia in München-Freimann. In der Teich- und Steppenlandschaft tummeln sich sogar Schnappschildkröten und Mississippi-Alligatoren. Auch das Krokodil, das Behörden in Baden-Württemberg vor einigen Wochen in einem Zirkus beschlagnahmt hatten, könnte dort bald eine neue Heimat finden.
Von Cordula Dieckmann, dpa